Weibliche Schönheit zwischen Tyrannei und Selbstgestaltung

Psychoanalytische und kulturtheoretische Perspektiven

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1. Zugänge zum Konzept

Das Streben nach Schönheit und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sind allgegenwärtige Themen, die sich in unserer heutigen Gesellschaft in weiblichen Diskursen mit größerer Heftigkeit ausbreiten. Im Rahmen des vorliegenden Essays wird versucht, unter die Oberfläche von Schönheitsstreben und Körperunzufriedenheit zu blicken und unbewusste Konflikte, frühe Beziehungserfahrungen und kulturelle Diskurse, die das weibliche Körpererleben prägen, in den Blick zu bekommen. Dabei werden zentrale theoretische Konzepte und historische Ansätze erörtert, gefolgt von der Bedeutung frühkindlicher Mutter-Tochter-Dynamiken und Spiegelungsprozesse. Anschließend richten wir den Blick auf Scham und Körper-Dysmorphophobie sowie auf „unerhörte Begehren“, also verborgene Wünsche, die sich im Kontext des Körpers ausdrücken. Die Rolle von Homosexualität und Identifikationsprozessen in Bezug auf Schönheitsideale wird diskutiert, gefolgt von einer Analyse selbstschädigender Körperpraktiken wie Selbstverletzung, Essstörungen und kosmetischen Operationen als einer Art Körpersprache. Auch die mächtigen Einflüsse gesellschaftlicher Schönheitsideale, Medien und postkolonialer Kritiken (etwa aus Schwarzer Frauen*bewegung und Gender Studies) werden berücksichtigt. Interdisziplinäre Ansätze – insbesondere der feministisch-kulturtheoretische Blick – fließen dabei ein, um ein möglichst umfassendes Bild zu zeichnen. Ein Ziel wäre erreicht, wenn am Ende des Lesens manches davon deutlich wurde, wie und warum Frauen sich in ihrem Körper oft entfremdet oder unzulänglich fühlen und inwiefern das Streben nach Schönheit auch Ausdruck tiefer liegender psychischer Dynamiken sein kann. 

2. Historische Perspektive und Grundkonzepte

Die meisten Untersuchung psychoanalytischer Konzepte beginnen historisch bei Sigmund Freud, so auch hier, denn der Begründer der Psychoanalyse formulierte auch zum Verständnis von Körper und Geschlecht grundlegende Ideen, betonte die zentrale Bedeutung des Körpers für die Ich-Entwicklung. Berühmt ist seine Aussage, dass „das Ich vor allem ein körperliches [Ich] ist, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche“ (Freud, 1923, S. 252). Damit postulierte er das Konzept des Körper-Ichs, also die Vorstellung, dass unser Selbstempfinden ursprünglich aus körperlichen Empfindungen und Grenzen entsteht. Das Ich konstituiert sich demnach in enger Wechselwirkung mit dem Leib – etwa durch Wahrnehmung der Hautgrenzen und körperlichen Integrität. Dieses Körper-Ich bildet gleichsam die erste Matrix für das spätere Selbstwertgefühl: Körperliche Erlebnisse von Lust, Schmerz, Geborgenheit oder Verlust in der frühen Kindheit prägen, wie die heranwachsende Person sich selbst erlebt.

Freud war auch einer der ersten, der den Zusammenhang von Narzissmus und weiblicher Schönheit diskutierte. In „Zur Einführung des Narzissmus“ (1914) beschreibt er, dass insbesondere schöne Frauen häufig eine stärker narzisstische Libidobesetzung auf sich selbst aufweisen würden. Solche Frauen „wüssten sich selbst zu bewundern“ und verlangten von Liebespartnern vor allem Bewunderung – was paradoxerweise ihre Attraktivität erhöhe, da ihre Indifferenz als Reiz wirke. Freud (1914) deutete an, dass die weibliche Schönheit und die Tendenz zur Selbstliebe teils als Kompensation für das Fehlen eines männlichen Genitals gedeutet werden könnte – ein Gedanke, der später in der Psychoanalyse (zu Recht) kontrovers diskutiert wurde (siehe auf Diskussion im anderen Artikel auf meiner Website). Seine zunächst provokant klingende Idee: Frauen richten – so Freud – mangels Penis einen Teil ihres Begehrens auf sich selbst und ihren eigenen Körper, was ihnen jene berühmte “Rätselhaftigkeit” verleiht. Zwar sind solche Aussagen aus heutiger Sicht kritisch zu betrachten, doch sie markieren einen Startpunkt: Weibliche Körperlichkeit wurde früh im psychoanalytischen Diskurs mit Narcissmus, Sexualität und Mangel assoziiert.

Charakteristisch ist Freuds Eingeständnis, dass die weibliche Sexualität seinem Verständnis teilweise entglitt. 1926 bemerkte er resigniert: „Das Sexualleben erwachsener Frauen ist ein ‚dunkler Kontinent‘ für die Psychologie“. Dieser berühmte Ausspruch – Frauen seien für die Forschung so unergründlich wie ein unerforschtes Land – spiegelt die historische Sicht Freuds wider. Er verstand zwar die Entwicklung des kleinen Jungen zum Mann relativ gut in seinem Ödipuskomplex, doch die Entwicklung des Mädchens zur Frau erschien ihm weitaus rätselhafter. Freud postulierte bekanntlich den Penisneid als zentrales Moment in der Mädchensexualität: Das Mädchen bemerke das Fehlen des Penis und reagiere mit Minderwertigkeitsgefühlen und dem Wunsch nach einem Ersatz (etwa einem Kind vom Vater). Kritikerinnen wie Karen Horney warfen Freud jedoch vor, hier von männlichen Normen auszugehen und weibliche Erfahrungen zu verzerren. Statt eines „Minderwertigkeitsgefühls“ sprachen sie etwa von Gebärneid auf Seiten der Männer. Nichtsdestotrotz legte Freud mit Konzepten wie Primärnarzissmus, Körper-Ich und der Idee unbewusster Körperbilder einen Grundstein für das Verständnis von Körperunzufriedenheit. So könnte man freudianisch formulieren: Die spätere Unzufriedenheit einer Frau mit ihrem Aussehen wurzelt (auch) darin, wie Konflikte der frühen psychosexuellen Entwicklung gelöst wurden. Beispielsweise könnte ein Übermaß an Narzissmus – etwa das Gefühl, nur über Schönheit Wert zu besitzen – ein Abwehrmechanismus gegen tieferliegende Kastrationsängste oder Kränkungen sein. Freuds Schüler und Nachfolger differenzierten diese frühen Theorien weiter aus. Helene Deutsch etwa analysierte in den 1940er-Jahren die „Psychologie der Frau“ und betonte, Frauen entwickelten häufig eine Form von masochistischer Selbstaufopferung als Teil ihres Geschlechtsrollenideals – was indirekt ihre Beziehung zum eigenen Körper und zur Schönheit beeinflusse (Deutsch, 1944). Auch Karen Horney widersprach Freuds Penisneid-Theorie und argumentierte, gesellschaftliche Unterdrückung sei der Grund für weibliche Gefühle von Minderwertigkeit, nicht ein biologisches Fehlen. Diese Debatten zeigten bereits damals, dass Körperbilder kulturell geformt und psychisch vermittelt sind.

Wir verfügen damit am Ende dieses kurzen Abrisses der historischen Perspektive zwei wichtige Grundkonzepte: Erstens ist der Körper aus psychoanalytischer Sicht zutiefst mit dem Selbstgefühl verknüpft (Freuds Körper-Ich). Zweitens wurde die weibliche Körperlichkeit lange als etwas „Geheimnisvolles“ und Problematisches gesehen (Freuds „dunkler Kontinent“), was auch dazu führte, dass weibliche Schönheit oft als Rätsel oder verführerisches Problem dargestellt wurde. Dieses historisch patriarchale Narrativ – die schöne Frau als narzisstisch und unergründlich – bildet einen Hintergrund, vor dem spätere Theoretikerinnen ihre Gegenentwürfe entwickelten. Im nächsten Abschnitt wenden wir uns den frühen Beziehungserfahrungen zu, die laut psychoanalytischer Theorie für die Entwicklung des Körperbildes zentral sind: den Mutter-Tochter-Beziehungen und der frühen Spiegelung des Selbst im Auge der Mutter.

3. Mutter-Tochter-Beziehungen und frühe Spiegelung

Entwicklungspsychologisch und erst recht entwicklungspsychoanalytisch gilt die frühe Kindheit als prägend für das Körperbild und das Selbstwertgefühl. Insbesondere die Beziehung zwischen Mutter und Tochter spielt hier eine bedeutende Rolle. In den Theorien der Objektbeziehungstheorie (etwa Melanie Klein und Donald Winnicott) wird beschrieben, wie das Kleinkind sein Selbst in Interaktion mit der primären Bezugsperson – meist der Mutter – formt. Für Mädchen ist diese Mutter zugleich das erste große Identifikationsobjekt: Durch sie erlebt das Mädchen, was es heißt, eine Frau in einem Frauenkörper zu sein. Melanie Klein betonte hierbei, dass bereits in den allerersten Lebensmonaten ambivalente Gefühle gegenüber dem (meist weiblichen) Primärobjekt entstehen. Das Säuglingsmädchen erfährt die Mutterbrust als Quelle von Lust (Nahrung, Wärme) und Frustration (Abwesenheit, unzureichende Befriedigung) zugleich. Daraus resultieren nach Klein primitive Aggressionen und Neidgefühle. Klein definierte Neid als das Gefühl, dass ein anderer etwas Begehrenswertes besitzt, was man selbst nicht hat, verbunden mit dem Impuls, dieses Gute zu zerstören. Im Kontext der Mutter-Tochter-Dyade bedeutet das: Das kleine Mädchen empfindet Neid auf die Mutterbrust, die Nahrung und Lust spendet. Später – in der frühen Kindheit – weitet sich dieser Neid eventuell aus auf die gesamte weibliche Kreativität der Mutter, insbesondere ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären. Klein postulierte, dass ein Mädchen unbewusst die mütterliche Fähigkeit, Leben zu schaffen (symbolisiert durch den fruchtbaren Mutterleib), beneiden könnte – eine Idee, die sie dem freudschen Penisneid entgegensetzte. So meinte Klein, die weibliche heterosexuelle Libido entwickle sich weniger aus Penisneid, sondern eher daraus, dass das Mädchen den Wunsch entwickelt, ebenso wie die Mutter vom Vater ein Kind (symbolisch: die Brust der Mutter) zu erhalten. In Kleins Theorie prägen diese frühen Wünsche und Rivalitäten das Verhältnis der Tochter zum eigenen Körper: Gelingt es dem Mädchen, die anfängliche aggressive Fantasie, die Mutter zu zerstören oder auszubeuten, zu wandeln (durch Entwicklung von Dankbarkeit gegenüber dem „guten Objekt“ Mutter), so entwickelt sie ein grundlegendes Gefühl, liebenswert zu sein. Misslingt dies jedoch, können tiefe Schuld- und Unzulänglichkeitsgefühle verbleiben. Klein würde argumentieren, dass Frauen mit starkem Selbsthass häufig unbewältigten frühkindlichen Neid und Aggression gegen die Mutter in sich tragen, der sich nun gegen das eigene Selbst und den eigenen Körper richtet.

Während Klein die innere Welt des Kindes betonte, richtete Donald W. Winnicott den Blick auf die Interaktion: Für Winnicott entsteht das Selbst des Kindes buchstäblich im Spiegel der mütterlichen Fürsorge. Seine berühmte Metapher von der Mutter als Spiegel besagt: Was sieht das Baby, wenn es der Mutter ins Gesicht blickt? Es sieht sich selbst. Eine feinfühlige Mutter “spiegelt” dem Säugling dessen eigene Gefühle und Bedürfnisse wider, indem sie prompt und empathisch reagiert. Winnicott (1967) schreibt, die Mutter bilde gewissermaßen einen ersten Spiegel, in dem das Kind sich erkennen kann. Ist die Mutter lächelnd und voller “Glanz im Auge”, erlebt das Baby (noch vor jedem echten Spiegel) sich selbst als liebenswert und willkommen. Bleibt der mütterliche Blick hingegen kühl, leer oder verwehrt – etwa weil die Mutter depressiv ist – dann „spiegelt“ sich dem Kind das Gefühl der Nicht-Existenz oder Nicht-Liebenswertigkeit. Solche frühen Spiegelungserfahrungen prägen, wie ein Mensch später seinen Körper sieht. Eine Tochter, deren Mutter sie mit strahlender Freude betrachtet („Wie schön du bist!“ impliziert jeder liebevolle Blick), entwickelt wahrscheinlich ein grundlegendes Körpervertrauen. Eine Tochter dagegen, die vielleicht Ablehnung, kritische Blicke oder Indifferenz erfahren hat, internalisiert leicht das Gefühl: “Mit mir stimmt etwas nicht.” Winnicott betonte auch, dass die Mutter dem Kind einen sicheren Halt geben muss (Holding Environment), damit es sein „wahres Selbst“ entfalten kann. Wenn ein Kind – etwa aus Angst, die Mutter zu verlieren – sich überangepasst verhält und ein „falsches Selbst“ entwickelt, kann dies ebenfalls die spontane leibliche Ausdrucksfähigkeit beeinträchtigen. Übertragen auf Schönheitsthemen hieße dies: Ein Mädchen könnte früh lernen, dass es die Erwartungen der Mutter (oder allgemein der Umwelt) erfüllen muss – z.B. stets „brav und hübsch“ sein –, wodurch es den Kontakt zu seinen eigenen Bedürfnissen verliert. Ein solches falsches Selbst könnte im späteren zwanghaften Schönheitsstreben wieder auftauchen: Die Frau versucht dann verzweifelt, einem äußeren Ideal zu genügen, weil sie glaubt, nur dann Liebe zu finden, hat aber möglicherweise nie ein authentisches Gefühl für den eigenen Körper entwickelt.

Jessica Benjamin, eine führende Vertreterin der zeitgenössischen psychoanalytischen Feminismustheorie, verknüpft diese Perspektiven von Innenwelt und Intersubjektivität. Sie betont das Konzept der gegenseitigen Anerkennung zwischen Mutter und Kind. Das Kind braucht nicht nur eine Mutter, die es liebevoll spiegelt, sondern auch eine Mutter, die das Kind als eigenständiges Subjekt anerkennt. Benjamin (1988) beschreibt, dass im Idealfall Mutter und Kind in einen intersubjektiven Tanz treten: Die Tochter identifiziert sich mit der Mutter, aber die Mutter lässt der Tochter auch Raum, anders zu sein. Ist die Mutter jedoch selbst gefangen in bestimmten Idealen (etwa einem Schönheitsideal, dem sie vergeblich nachjagt), kann es unbewusst passieren, dass sie der Tochter dieses Muster weitergibt. Beispielsweise beobachten Therapeut*innen oft, dass Mütter ihre eigene Körperunsicherheit – sei es ständige Diäten oder abwertende Kommentare über das eigene Aussehen – an ihre Töchter weitergeben. Die Tochter übernimmt dann vielleicht die mütterliche Unzufriedenheit, identifiziert sich damit und entwickelt ebenfalls ein gestörtes Körperbild. Benjamin würde hier von einer transgenerationalen Weitergabe unbewusster Einstellungen sprechen. In ihrem Werk The Bonds of Love (dt. Die Fesseln der Liebe) analysiert Benjamin überdies das kulturelle Skript, in dem Mütter traditionell als selbstlose Gebende und Töchter als Anhängsel gesehen wurden – ein Gefüge, das echte gegenseitige Anerkennung erschwert. Übertragen heißt das: Die Tochter soll „lieb“ sein und die Mutter zufriedenstellen, während die Mutter ihre eigenen Wünsche vielleicht verdrängt. Solche Dynamiken können dazu führen, dass die Tochter Schwierigkeiten hat, einen eigenständigen Selbstwert aufzubauen, der nicht von äußerer Bestätigung (z.B. Komplimenten für Schönheit) abhängt.

Eine moderne psychoanalytische Sicht auf Mutter-Tochter-Beziehungen liefert die deutsche Psychoanalytikerin Helga Krüger-Kirn, die einen dezidiert genderkritischen Ansatz verfolgt. Sie betont, dass die klassischen Theorien die weibliche Perspektive lange vernachlässigten und korrigiert werden müssen (Krüger-Kirn, 2016). Insbesondere rückt sie die Mutter-Tochter-Beziehung selbst ins Zentrum, statt sie nur als Durchgangsstation zum Vater zu sehen. Sie fragt, wie sich gesellschaftliche Vorstellungen von Weiblichkeit in den Körper von Frauen einschreiben. Ein wichtiges Anliegen Krüger-Kirns ist es, unbewusste Beziehungswünsche zwischen Mutter und Tochter sichtbar zu machen, die in der traditionellen Theorie kaum beachtet wurden. So weist sie darauf hin, „dass homosexuelle Begehrensstrukturen gerade in analytischen Interpretationen der Tochter-Mutter-Beziehung stärker beachtet werden sollten“. Damit meint sie: In der frühen Symbiose von Mutter und Tochter gibt es auch Elemente von (vor-sexueller) Begehrenslust – etwa die körperliche Nähe, die intensive gegenseitige Blicke, die genussvolle Stillbeziehung. Dieses innige körperliche Band wird in unserer Kultur später oft tabuisiert. Das Mädchen soll sich vom mütterlichen Körper lösen und heterosexuell auf den Vater (oder Männer) ausrichten. Die möglicherweise vorhandenen erotischen Anklänge der Mutter-Tochter-Bindung (die das Kind z.B. in Form von Sehnsucht nach Verschmelzung erlebt) werden zum „unerhörten“ – im Sinne von ungehörten oder unerlaubten – Aspekt. Krüger-Kirn (2013) prägte dafür den Ausdruck „unerhörter Blick im Körper der Frau“, um die unbewusste körperliche Dimension in Frau-Frau-Beziehungen zu fassen. Die Folge solcher kulturellen Tabus kann eine gewisse Leerstelle im weiblichen Selbst sein: Viele Frauen fühlen sich ein Leben lang auf der Suche nach einer bedingungslosen Bestätigung, wie sie vielleicht nur die ideale Mutter geben könnte. Wenn diese Bestätigung fehlt oder ambivalent war, kann sich das – so das Argument vieler Psychoanalytiker*innen – als körperliche Unruhe und Unzufriedenheit äußern. Beispielsweise beschreiben Kliniker*innen, dass Frauen mit Essstörungen oft eine tiefe Sehnsucht nach einer „guten Mutter“ in sich tragen, die in der Pubertät symbolisch auf den eigenen Körper übertragen wird: Der Körper soll nun perfekt genährt, geformt oder kontrolliert werden, als Ersatz für die als unzureichend erlebte Fürsorge.

Wir können damit festhalten, dass die Mutter-Tochter-Beziehung (bzw. die primäre Bindungsperson-Tochter-Beziehung) den Grundstein dafür legt, wie ein Mädchen sich in seinem Körper fühlt. Liebevolle Spiegelung, Anerkennung und das Zulassen einer autonomen Weiblichkeit fördern ein positives Körperbild. Dagegen können konfliktgeladene Identifikationen – etwa wenn die Tochter den Selbsthass der Mutter übernimmt oder sich von der Mutter nie bestätigt fühlt – später zu Körperunzufriedenheit, Scham und dem Drang führen, sich über Schönheit äußere Bestätigung zu holen. Die nächsten Abschnitte vertiefen, wie sich spezifische Gefühle wie Scham entwickeln und welche unbewussten Wünsche im Spiel sind, wenn Frauen ihren Körper „hassen“.

4. Scham, Körperdysmorphophobie und das „unerhörte Begehren“

Scham wird in der Psychoanalyse als ein Affekt verstanden, der eng mit dem Blick und dem Körper zusammenhängt. Man schämt sich, so könnte man mit Wurmser (1980) wenn man sich bloßgestellt, unzulänglich oder falsch wahrgenommen fühlt – meist vor den Augen eines Anderen. Gerade Frauen erleben Scham häufig in Bezug auf ihren Körper und ihre körperlichen Bedürfnisse, da kulturelle Normen jahrhundertelang ein braves, keusches Weiblichkeitsideal propagierten. Psychoanalytisch entsteht Scham oft, wenn das reale Selbst nicht mit dem Ich-Ideal übereinstimmt – ein innerer Konflikt, der sich am Körper besonders deutlich entzünden kann.

Im Kontext von Körperdysmorphophobischen Störungen (Body Dysmorphic Disorder, BDD) ist Scham ein zentraler Motor. BDD-Patientinnen sind überzeugt, ein bestimmter Aspekt ihres Aussehens sei entstellend oder abstoßend, obwohl objektiv kein auffälliger Defekt besteht. Die britische Psychoanalytikerin Alessandra Lemma hat viele solcher Fälle behandelt und theoretisch beleuchtet. Sie beschreibt, dass diesen Frauen (und Männern) gemeinsam ist, dass sie sich ständig beobachtet fühlen – jedoch nicht gesehen. Lemma (2009) unterscheidet hierbei das Gesehen-Werden (im Sinne von echter Anerkennung der Person) vom Beobachtet-Werden(im Sinne eines kritischen, objektifizierenden Begutachtetwerdens). BDD-Betroffene erleben sich, als stünden sie permanent unter dem strengen Blick eines imaginären Publikums oder „inneren Kritikers“. Dieser innere Kritiker kann verstanden werden als verinnerlichte Stimmen (etwa kritische Elternfiguren oder auch normative gesellschaftliche Ideale), die der Person einflüstern: “Du bist hässlich, du genügst nicht.” Daraus entsteht tiefgreifende Scham und Minderwertigkeit. Die Betroffenen versuchen verzweifelt, diesen Makel zu beheben – sei es durch stundenlanges Schminken, exzessive Hautpflege, ständige Spiegelkontrollen oder sogar selbstverletzende Handlungen (wie z.B. das Ausdrücken und Aufkratzen vermeintlicher Hautunreinheiten). Doch die erhoffte Erleichterung tritt selten ein, weil das Problem zumeist nicht im äußeren Merkmal liegt, sondern in der inneren Schamkonstellation.

Die feministische Psychoanalytikerin Rozsika Parker hat Scham und Körperhass ebenfalls untersucht. Sie prägte den Begriff “body hatred” (Körperhass) und interpretiert ihn als Abwehrmechanismus gegen Scham. Parker (2003) schlägt vor, dass das Fokussieren von Hass auf ein spezifisches Körperteil – z.B. „Ich hasse meinen dicken Bauch“ oder „meine Nase ist entsetzlich“ – paradoxerweise ein verzweifelter Versuch ist, Scham zu verbergen und zugleich zu heilen. Indem die Person all ihre Selbstabwertung auf ein isoliertes körperliches Detail projiziert, kann sie die diffuse Scham über das gesamte Selbst kanalisieren. Das verleiht eine trügerische Kontrolle: Man glaubt, wenn nur dieser eine Makel behoben würde, wäre alles gut. Zudem liegt in der Selbstbestrafung (etwa stundenlanges Hungern wegen des „dicken Bauchs“) eine unbewusste Buße, die die Scham mildern soll – nach dem Motto: „Ich tue schon alles, um besser zu werden.“ Parker betont damit, dass Körperdysmorphophobie und Körperhass nicht einfach Eitelkeit oder Oberflächlichkeit sind, sondern tiefe Verletzungen im Selbstwert widerspiegeln. Scham kann ihren Ursprung wiederum in der frühen Interaktion haben (wie im vorigen Abschnitt beschrieben: z.B. beschämende Botschaften der Eltern über Körper oder Sexualität). Interessant ist auch Parkers Hinweis, dass immer der Andere in Gedanken anwesend ist: Scham ist relational. Die Frau schämt sich ihres Bauches, weil sie sich vorstellt, jemand (ein realer oder imaginierter anderer) finde ihn abstossend. Dies verweist auf die Internalisation gesellschaftlicher Blicke – der prüfende, normative Blick der Gesellschaft wird zum eigenen inneren Blick.

In der Theorie von Julia Kristeva erhält Scham und Ekel eine kulturelle Tiefendimension: Kristeva (1980) spricht vom “Abjekten” – all jenen Aspekten des Körpers und der Erfahrung, die das Subjekt aus dem bewussten Selbst ausstoßen muss, um eine stabile Identität zu haben. Dinge wie Körperausscheidungen, Menstruationsblut, aber auch exzessive Begierden gelten kulturell als unrein oder bedrohlich und werden daher abgewehrt. Insbesondere der weibliche Körper mit seinen durchlässigen Grenzen (Menstruation, Schwangerschaft, Geburt) wurde in patriarchalen Kulturen oft als das Andere, das Chaotische gebrandmarkt. Eine Frau wächst also meist mit bewussten oder unbewussten Botschaften auf, dass Aspekte ihres Körpers „eklig“ oder „peinlich“ seien (z.B. Scham rund um Menstruation oder Körperbehaarung). Kristeva zufolge verinnerlicht das Subjekt diese Abjektion: Frauen könnten einen Teil ihrer eigenen leiblichen Vorgänge als fremd und abstoßend empfinden, was zu diffuser Scham führt. In ihrem Essay “Pouvoirs de l’horreur” (dt. Mächte des Entsetzens) beschreibt Kristeva, wie das Abjekte ständig die Grenzen des Selbst bedroht – es ist das Unaussprechliche, das trotzdem anwesend ist. Übertragen auf unser Thema hieße dies: Eine Frau mag sich nach außen zivilisiert und „schön“ präsentieren, doch unbewusst könnten verdrängte ekel-besetzte Gefühle gegenüber dem eigenen Körper (etwa gegenüber Geruch, Alterungsprozessen, Sexualität) schwelen und Selbstablehnung nähren. Kristevas Konzept hilft zu verstehen, warum z.B. manche Frauen panische Reinlichkeitsrituale oder zwanghafte Schönheitsroutine entwickeln – sie versuchen möglicherweise, das Abjekthafte (Unkontrollierte, „Hässliche“) fernzuhalten, um Scham zu vermeiden und ein kohärentes Selbst zu bewahren. Allerdings ist dieser Kampf oft vergeblich, da das Abjekt (nicht nur Kristeva zufolge, siehe etwa diesen Artikel auf der Website) zum Menschsein dazugehört – so entsteht ein nie endender Kreislauf aus Perfektionierung und Ekel, der das Erleben von entspanntem Wohlgefühl im eigenen Körper unterminiert.

Was hat es nun mit dem bereits benannten „unerhörten Begehren“ auf sich? In diesem Begriff spiegelt sich die Idee, dass es Wünsche und Lüste gibt, die im Kontext von Weiblichkeit unhörbar (unerhört) bleiben müssen, weil sie nicht ins akzeptierte Bild passen. Eines dieser tabuisierten Begehren haben wir bereits angedeutet: die mögliche homoerotische Komponente in der Mutter-Tochter-Beziehung oder allgemein in Frau-zu-Frau-Beziehungen. In patriarchalen Strukturen durfte weibliches Begehren traditionell nur heterosexuell sein und auf Männer gerichtet. Jegliche nicht normgerechte Lust – sei es autoerotische Lust, aggressives Begehren oder eben homoerotische Neigungen – wurde als „unerhört“ im Sinne von skandalös und unhörbar behandelt. Psychoanalytikerinnen wie Jessica Benjamin und Helga Krüger-Kirn betonen, dass ein Mädchen in seiner Entwicklung häufig gezwungen ist, gewisse Impulse in sich zum Schweigen zu bringen, um dem zu entsprechen, was als „richtige Weiblichkeit“ gilt. Beispielsweise könnte ein mädchenhaftes aggressives Begehren (z.B. das Verlangen nach aktiver sexueller Initiative) unterdrückt werden, weil es nicht dem Bild der passiven, begehrten Frau entspricht. Oder eine pubertierende Jugendliche, die starke emotionale Schwärmereien für eine Freundin empfindet, mag diese Gefühle in Körperscham umwandeln, weil sie sie sich nicht erlauben kann. Das Resultat solcher Verbote ist oft eine Verlagerung: Das unerlaubte Begehren drückt sich indirekt aus – möglicherweise durch Symptome. So interpretieren einige Analytiker*innen Essstörungen als Ausdruck „unerhörter“ Wünsche: Der unbewusste Hunger nach Liebe, Lust, vielleicht auch nach weiblicher Zuwendung, wird in einen konkreten Nahrungs-Hunger verschoben (“Heißhungerattacken” als symbolischer Ersatz etwa). Oder das verzweifelte Dünnwerden-Wollen einer Magersüchtigen könnte unbewusst bedeuten: “Ich will rein und unschuldig bleiben”, weil die eigenen erwachenden sexuellen Wünsche (als „schmutzig“ erlebt) Angst machen.

Alessandra Lemma (2009) beschreibt in diesem Zusammenhang, dass Frauen mit Körperdysmorphie oft in einem Spannungsverhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit stehen. Einerseits besteht ein unerhörtes (ungehörtes) Bedürfnis, gesehen und begehrt zu werden – andererseits eine panische Angst davor, wirklich in ihrer Körperlichkeit erkannt zu sein. Diese paradoxe Dynamik – “Seht mich nicht an, ich schäme mich, aber bemerkt mich, ich brauche Bestätigung” – kann zu quälenden Schamkreisläufen führen. Manche Frauen ziehen sich sozial zurück, vermeiden Umkleiden, Sexualität oder spiegeln sich obsessiv, weil jeder Blick von außen wie ein Urteil über ihr Innerstes wirkt. Unter der Oberfläche verbirgt sich oft das verbotene Verlangen, einfach vorbehaltlos begehrt und angenommen zu werden. Psychoanalytisch gesprochen: Das Es der Frau hat Wünsche (sexuelle, aggressive, narzisstische), die vom Über-Ich streng zensiert werden. Gelingt keine Ich-Vermittlung, können Symptome entstehen – Scham und Körperhass werden dann zum sichtbaren Ersatzkonflikt.

Die Trias aus Scham, Körperdysmorphophobie und unerhörtem Begehren etabliert damit einen Teufelskreis: Unerlaubte Wünsche erzeugen Scham, Scham führt zu verzerrter Körperwahrnehmung und Selbsthass, was wiederum echte zwischenmenschliche Befriedigung des Bedürfnisses erschwert. Psychoanalytisch kann der Ausweg nur darin liegen, das „Unerhörte“ auszusprechen – sprich die verborgenen Wünsche zu erkennen und zu akzeptieren, damit die Scham ihren überwältigenden Griff auf die Seele und den Körper etwas lockert. Dies führt uns zum nächsten Abschnitt, der einen besonderen Aspekt solcher Dynamiken betrachtet: die Rolle von Homosexualität, Identifikation und Schönheitsidealen, insbesondere die Frage, wie Frauen sich an Schönheitsnormen nicht nur unter dem männlichen Blick, sondern auch in Beziehung zueinander orientieren.

5. Homosexualität, Identifikation und Schönheitsideale

Schönheitsideale entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sie sind vielmehr basal verknüpft mit wichtigen Identifikationsprozessen. Dabei entwickeln Frauen ihr Verständnis von Attraktivität und Weiblichkeit, indem sie sich mit bestimmten Vorbildern identifizieren und andere Perspektiven ausschließen. In patriarchalen Gesellschaften galt (bzw. gilt?) aber lange vor allem der männliche Blick als maßgeblich: Frauen wollten schön sein, um Männern zu gefallen. Doch wer spiegelt Frauen eigentlich ihr Schönheitsideal wider? Es liegt nahe, dass vor allem andere Frauen dabei eine erhebliche Rolle zukommt – sei es die Mutter, Freundinnen oder kulturelle Ikonen. Hier kommt der Aspekt der (oft unbewussten) Homosexualität bzw. homoerotischen Neigung ins Spiel: Schon Freud erkannte, dass Identifizierung und Begehren nahe beieinander liegen. Sein Konzept der Identifizierung besagt, dass man manchmal zu demjenigen werden möchte, den man begehrt, wenn der direkte Wunsch untersagt ist. Im Ödipuskonzept identifiziert sich z.B. der Junge mit dem Vater (statt die Mutter sexuell zu besitzen), das Mädchen mit der Mutter (statt den Vater vollständig für sich zu haben). Übertragen auf Schönheitsstreben könnte das heißen: Eine Frau begehrt vielleicht unbewusst die Bewunderung oder Liebe einer anderen Frau – etwa sie bewundert eine glamouröse Schauspielerin, empfindet insgeheim eine Faszination oder sogar Verliebtheit. Da diese Anziehung aber nicht offen eingestanden wird (homoerotische Gefühle wurden und werden oft unterdrückt), wandelt sie sich in den Wunsch um, wie diese Frau zu sein. So erklärt sich zum Teil, warum Frauen sich an weiblichen Vorbildern orientieren: Nicht nur, um Männern zu gefallen, sondern weil sie in diesen Vorbildern verkörperte Ideale dessen sehen, was sie selbst – bewusst oder unbewusst – begehrenswert finden.

Die Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray hat darauf hingewiesen, dass in einer von Männern dominierten Symbolik Frauen häufig nur als Spiegel für männliche Wünsche fungieren. In Speculum of the Other Woman (1974) und This Sex Which Is Not One (1977) kritisiert Irigaray, dass Frauen im Patriarchat gezwungen sind, eine Maskerade der Weiblichkeit aufzusetzen, da ihre eigene Subjektivität nicht anerkannt wird. Sie übernimmt und erweitert hier das Konzept der Weiblichkeit als Maskerade, das erstmals Joan Riviere (1929) formulierte. Irigaray argumentiert: Was wir als „weibliche Schönheit“ kennen – Make-up, verführerische Kleidung, bestimmte Gesten – ist in vieler Hinsicht eine Inszenierung, die Frauen vornehmen, um im männlichen Begehren zu existieren. Indem eine Frau z.B. sich stark schminkt und kokett gibt, erfüllt sie unbewusst eine vom Mann projizierte Rolle (die der glamourösen Verführerin) und verbirgt möglicherweise ihr eigenes, echtes Begehren dahinter. Diese Theorie deutet an, dass das gängige Schönheitsideal gar nicht authentisch „weiblich“ ist, sondern ein Konstrukt im Dienste der Männer. Schönheit als Maskerade kann wiederum einen Bruch zwischen dem Selbst und dem Bild erzeugen: Wenn eine Frau sich ständig präsentiert und verhält, wiesie glaubt, dass andere sie haben wollen, kann das Gefühl innerer Leere oder Unechtheit entstehen – ein Nährboden für Selbsthass, sobald die Fassade Risse bekommt.

Andererseits plädiert Irigaray dafür, dass Frauen einen eigenen Zugang zu Schönheit und Körperlichkeit finden, jenseits des männlichen Blicks. Sie beschreibt eine utopische Vision weiblicher Selbstliebe und gegenseitiger Anerkennung. Ihre berühmte Metapher der „zwei Lippen“ symbolisiert eine Weiblichkeit, die auf Beziehung und Gleichzeitigkeit gründet – Frauen könnten sich gegenseitig spiegeln, ohne sich zu objektivieren. Daraus könnte man ableiten: Wenn Frauen stärker Schwesternschaft leben und einander bestätigen, anstatt in Konkurrenz um männliche Gunst zu treten, entstünde vielleicht ein vielseitigeres, entspannteres Schönheitsideal.

Jessica Benjamin hat ebenfalls zum Thema Identifikation beigetragen, insbesondere durch die Idee der Intersubjektivität. Sie betont, dass beide Geschlechteranteile (das männliche Aktive und das weibliche Rezeptive, im stereotypen Sinn) in jeder Person vorhanden sind. Eine Frau muss also nicht nur die passive, bewunderte Rolle spielen; sie hat auch einen aktiven, begehrenden Pol in sich. In Bezug auf Schönheitsideale hieße das: Frauen begehren nicht nur, begehrt zu werden – sie haben auch ein aktives erotisches Interesse, das aber oft verdrängt wurde. Benjamin zufolge ist es wichtig, dass Frauen ihren aktiven Pol integrieren, um sich von den „Fesseln“ starrer Weiblichkeitsideale zu befreien. Wenn z.B. eine Frau erkennt, dass ihre Bewunderung für eine schöne Kollegin vielleicht eine Form von Eros oder von Selbstverwirklichungswunsch ist, kann sie diese Energie konstruktiv nutzen – etwa als Inspiration, aber ohne Selbstabwertung. Andernfalls kippt solche Bewunderung leicht in Neid und Konkurrenz: Man fühlt sich minderwertig, muss sich vergleichen, und womöglich wird die andere Frau abgewertet, um die eigene Scham zu lindern. Benjamin betont die Möglichkeit der gegenseitigen Anerkennung auch unter Frauen: Die eine kann schön sein, die andere auch, ohne dass dies sich gegenseitig ausschließt – ein radikaler Gedanke in einer Kultur, die Frauen oft gegeneinander ausspielt („Wer ist die Schönste im ganzen Land?“).

Auch Helga Krüger-Kirn (2016) bringt hier erneut eine zentrale Beobachtung ein: In psychoanalytischen Therapien zwischen Frau und Frau stellt sie fest, dass unbewusste körperliche Übertragungen stattfinden – die Patientin fühlt vielleicht die Attraktivität oder die Ablehnung der Therapeutin körperlich und umgekehrt. Sie spricht von einem „körpersprachlichen Übertragungsraum“ unter Frauen. Das heißt, viel läuft nonverbal über Blicke, Gesten, Erscheinung. Für das Thema Schönheitsideal bedeutet das: Frauen kommunizieren untereinander auch über Körperbilder. Ein Beispiel: Eine Gruppe von Teenager-Mädchen etabliert oft eigene Schönheitsnormen, losgelöst von Erwachsenen. Wer „dazugehören“ will, identifiziert sich mit diesen Normen (z.B. derselbe Kleidungsstil, dieselbe schlanke Silhouette). Hier wirkt Identifikation in Reinkultur: Der Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung von Seiten anderer Mädchen lenkt das Verhalten oft stärker als das Interesse an Jungs. Viele junge Frauen berichten, dass sie sich für Partys ebenso sehr (oder mehr) für die anderen Frauen zurechtmachen wie für die Männer – der peer gaze (Blick der Gleichaltrigen) ist machtvoll. Darin schwingt mit, was wir oben diskutierten: eine Form von homoerotischer und homosozialer Dynamik. Man will von den anderen Mädchen gleichzeitig bewundert und nicht beneidet werden, man teilt aber auch ästhetische Vorlieben und erschafft gemeinsam ein Idealbild.

Ein besonderer Aspekt ist jedoch die weibliche Homosexualität an sich: Offene lesbisch lebende Frauen haben einerseits Freiräume, sich jenseits heteronormativer Erwartungen zu bewegen, anderseits aber auch mit besonderen Körperidealen (Butch/Femme-Kultur z.B.) zu tun. Psychoanalytisch interessant ist, dass in früheren Zeiten lesbische Frauen in der Literatur oft als „nicht eitel“ oder „männlich identifiziert“ beschrieben wurden – was natürlich klischeehaft ist. Dennoch mag es zutreffen, dass wer sich dem male gazeentzieht, andere Maßstäbe entwickeln kann. Feministische Stimmen – etwa Audre Lorde – ermutigten Frauen, ihre Schönheit für sich selbst und für einander zu definieren, statt für Männer. Das schließt heterosexuelle Frauen ein: Auch sie können Schönheit als Ausdruck von Persönlichkeit und Freude leben, anstatt als Zwang zur Konkurrenz.

Nochmal kurz zurück zur Identifikation in den Theorien von Irigaray und auch in von Benjamin, wo sich eine Doppelrolle finden lässt: Sie kann einengend sein (wenn man nur noch das Ideal der anderen nachahmt und sich selbst verliert), aber auch bereichernd (wenn man in anderen Frauen Aspekte erkennt, die man in sich selbst entwickeln möchte, ohne sich abzuwerten). Entscheidend ist die Qualität der Identifikation: Neidvolle Identifikation führt zu Rivalität und Druck; bewundernde oder inspirierte Identifikation kann hingegen Selbstentfaltung fördern. Eine problematische Form ist die identifikatorische Unterwerfung unter Schönheitsideale: Hier identifiziert sich die Frau mit dem äußeren Blick – sie betrachtet sich selbst quasi durch die Augen der (männlichen oder weiblichen) Kritiker. Nancy Chodorow (2023) spricht vom “male internal gaze” in Frauen, der sie permanent überwacht. Ein Beispiel hierfür sind Frauen, die selbst in Momenten der Intimität „von außen“ auf sich schauen (etwa beim Sex besorgt sind, wie ihr Körper aussieht, anstatt im Erleben aufzugehen). Diese Spaltung des Selbst – sich gleichzeitig Subjekt und Objekt zu sein – entstammt einer rigiden Identifikation mit dem beurteilt-werdenden Objekt der anderen.

Wir halten fest: Homosexualität und homoerotische Tendenzen spielen also insofern eine Rolle, als Frauen viel ihres Schönheitsbezogenen Verhaltens im Bezug zueinander entwickeln, nicht nur zu Männern. Identifikation kann dabei Verdecktes Begehren transportieren (man will sein, was man eigentlich liebt) oder vom eigenen Selbst wegführen (Maskerade fürs Fremdbegehren). Das Schönheitsideal fungiert oft als vermittelndes Phantasma: Es verkörpert einen imaginären Punkt, an dem alle Liebe und Anerkennung (der Männer, der Frauen, der Mutter, der Gesellschaft) erfüllt wären. Doch dieses Phantasma ist unerreichbar, was wiederum Frustration und Selbsthass perpetuiert.

Im nächsten Abschnitt wenden wir uns konkreten, oft drastischen Ausdrucksformen dieser inneren Konflikte zu: Selbstverletzungen, Essstörungen und chirurgischen Eingriffen als einer Sprache des Körpers, in der das Unbewusste zum Ausdruck kommt.

6. Selbstverletzung, Essstörungen und chirurgische Eingriffe als Körpersprache

Wenn seelische Konflikte nicht symbolisch (etwa in Worten oder Träumen) verarbeitet werden können, suchen sie sich manchmal einen direkten körperlichen Ausdruck. Psychoanalytiker*innen verstehen viele Symptome am Körper als eine Form von Sprache, die unbewusste Botschaften oder Lösungen darbietet. Besonders im Feld der Essstörungen, der Selbstverletzungen (wie Ritzen) und des Drangs zu körpermodifizierenden Eingriffen (Schönheitsoperationen etc.) zeigt sich der Körper als Bühne der Psyche. Die Pionierin der Psychosomatik und Essstörungsforschung, Hilde Bruch, beschrieb etwa Anorexie (Magersucht) als einen verzweifelten Versuch, Kontrolle zu erlangen und ein eigenes Selbst zu definieren. Ihre berühmte Metapher vom „goldenen Käfig“ (Titel ihres Buches 1978) drückt aus, dass anorektische Mädchen sich in einem vermeintlich glänzenden, aber tödlichen Gefängnis aus Selbstdisziplin einschließen. Bruch stellte fest: „Wenn man so unglücklich ist und nicht weiß, wie man irgendetwas erreichen soll, dann wird es zu einer enormen Leistung, zumindest Kontrolle über den eigenen Körper zu gewinnen“ (Bruch, 1978, übersetzt) . Diese Aussage versteht Hungern im Zusammenhang mit dem Gefühl von Kompetenz und Selbstwirksamkeit wie Kontrolle –  man kann vielleicht sonst nichts in seinem Leben beeinflussen, aber sein Gewicht kann man kontrollieren. Psychoanalytisch gedeutet symbolisiert die Nahrung oft die Beziehung zur primären Mutterfigur (Zusammenhang von Nahrung und Liebe). Das Verweigern kann ein unbewusster Ausdruck von Autonomie sein (“Ich brauche dich nicht, Mutter, ich kontrolliere selbst”), aber auch ein Appell (“Schau, wie ich leide, kümmere dich um mich”). Anorexie hat dabei oft die Qualität eines stillen Schreis: Was verbal nicht geäußert wird – etwa Wut, Trauer oder das Bedürfnis nach Schutz – wird über den ausgemergelten Körper „gesagt“. Bruch beobachtete zudem, dass viele ihrer Patientinnen eine gestörte Wahrnehmung des Körpers hatten – sie fühlten sich auch bei gefährlichem Untergewicht noch „zu dick“. Dies ist kein Wahrnehmungsfehler im engeren Sinn, sondern Ausdruck eines Ich-Entwicklungsdefizits: Das innere Bild vom eigenen Körper stimmt nicht mit der Realität überein, weil das gefühlte Selbst der Patientin nach wie vor unförmig, bedrohlich oder „nicht getrennt“ erlebt wird. Einige psychoanalytische Autoren (z.B. Marion Woodman) sehen in der Magersucht den Versuch, den körperlichen Aspekt der eigenen Weiblichkeit quasi zu töten, um ein reines Geistwesen zu bleiben – was oft mit einem Konflikt über erwachende Sexualität einhergeht.

Ess-Brech-Sucht (Bulimie) zeigt wiederum ein anderes Muster: Hier pendelt die Betroffene zwischen Exzess und Reinigung, symbolisch zwischen Hingabe an Bedürfnisse und rigider Kontrolle. Bulimie wird manchmal als “Körper-Kommentar” über Ambivalenz gelesen: Man nimmt gierig auf (Nahrung für ungestillte Bedürfnisse, vielleicht nach Liebe), doch sofort danach empfindet man Ekel und Scham und will alles aus sich herauswerfen. Der Körper spricht: “Ich kann das Schöne/Genussvolle nicht bei mir behalten, es macht mir Angst und Ekel.” Die britische Therapeutin Susie Orbach notierte, dass viele Frauen mit Essstörungen tiefe Scham über ihre Bedürfnisse verspüren und Essen zum Ersatz für emotionale Befriedigung wird – worauf wir im nächsten Abschnitt zu gesellschaftlichen Faktoren noch kommen.

Selbstverletzendes Verhalten wie das Ritzen oder Schneiden der Haut (engl. cutting) tritt häufig bei jungen Frauen mit Traumata oder Borderline-Problematik auf. Psychoanalytiker wie Gerhard Paar (2002) verstehen Selbstverletzung als paradoxen Versuch der Selbstrettung: „Selbstverletzung als Selbsterhaltung“ lautet der Titel seines Beitrags. Was bedeutet das? Viele Betroffene berichten, dass der körperliche Schmerz ihnen hilft, unerträglichen seelischen Schmerz zu lindern oder überhaupt etwas zu fühlen, wenn vorher nur innere Leere und Dissoziation herrschte. Das Zufügen von Wunden an sich kann verschiedene unbewusste Bedeutungen haben: Es kann eine Selbstbestrafung sein (aus Schuldgefühlen), eine Abreaktion von Wut (man „schneidet“ bildlich an den verhassten Introjekten, oft verinnerlichten negativen Bezugspersonen), oder ein Hilferuf, der ohne Worte auskommt. In jedem Fall dient es kurzfristig der Stabilisierung des Selbst – daher Selbsterhaltung. Paar beschreibt, dass sich hinter der blutigen Botschaft oft eine Unfähigkeit zur symbolischen Sprachfindung verbirgt: Die Betroffenen können ihre Konflikte nicht in Worte fassen (man spricht von Alexithymie in der Psychosomatik) und „verschieben“ sie daher auf den Körper, wo sie durch Schnitte sichtbar werden. Scham ist auch hier zentral: Häufig folgen auf das Selbstverletzen starke Scham- und Schuldgefühle, was den Teufelskreis antreibt. Doch während des Aktes selbst empfindet die Person oft Erleichterung oder sogar eine tranceartige Beruhigung. Der Ritzer schneidetbuchstäblich das unbeherrschbare seelische Chaos in geordnete, linienförmige Wunden – eine makabre Art von Selbstregulation. Für Außenstehende wirkt dies zerstörerisch, aber im Erleben der Betroffenen ist es oft die einzige verfügbare Bewältigung, um nicht vollends an der inneren Spannung zu zerbrechen. Dieses Phänomen zeigt, wie der Körper als Kommunikationsmittel dient: Was unbewusst vielleicht gesagt werden soll, ist z.B. “Ich habe einen Schmerz in mir, seht her, er ist real” oder “Ich bin hilflos, bitte haltet mich auf und kümmert euch”. Freilich bleibt diese Sprache oft unverstanden, da sie nicht übersetzt wird.

Nun von der Selbstverletzung zur Selbstgestaltung, wenn man das bezeichnen möchte und damit zu gesellschaftlich immer normalisierteren chirurgischen Eingriffen zur Schönheitsverbesserung – von der Nasenkorrektur bis zur Fettabsaugung. Aus psychoanalytischer Sicht stellen sie einen Akt am eigenen Körper dar, der zumeist psychische Bedeutungen hat. Alessandra Lemma (2010) hat ausführlich über die Psychodynamik der kosmetischen Chirurgie geschrieben: Sie sieht darin oft einen Versuch, durch konkrete körperliche Veränderung eine seelische Neubewertung zu erreichen. Eine Patientin glaubt z.B., wenn ihre Nase kleiner und zierlicher wäre, würde sie endlich sich selbst lieben können oder geliebt werden. Der äußeren Operation haftet sozusagen die Phantasie einer psychischen Operation an: Das innere Selbstwertproblem soll mit dem Skalpell “weggeschnitten” werden. Lemma nennt solche Fälle „copies without originals“ – Menschen möchten aussehen wie retuschierte Idealbilder, ohne zu bedenken, dass es das Original so nie gab. Häufig sind die Motive narzisstisch verwurzelt: Die Betroffenen haben ein fragiles Selbstwertgefühl, das von äußerer Bestätigung abhängt, und erhoffen sich, durch die Operation endlich “gut genug” zu sein. Doch nach einer Operation verschiebt sich nicht selten das Unbehagen auf ein neues Merkmal – z.B. nach der gelungenen Nasen-OP stört plötzlich das Kinn. Dies deutet darauf hin, dass die Ursprungsproblematik – etwa ein Gefühl, nicht liebenswert zu sein – unberührt blieb und sich nun einen neuen „Anker“ am Körper sucht.

Interessant ist an dieser Stelle auch die Schnittstelle von Selbstverletzung und Chirurgie: Während Selbstverletzung offiziell unerwünscht und pathologisch ist, gilt Schönheitschirurgie als legitimes Mittel. Doch die Grenze kann fließend sein. Manche Menschen lassen extreme und wiederholte Eingriffe vornehmen – etwa ständig neue Facelifts oder gefährliche Implantate. Psychoanalytisch könnte man fragen: Wo hört die selbstbestimmte Verschönerung auf und wo beginnt eine sozial sanktionierte Form der Selbstbeschädigung? Lemma (2010) betont, dass Therapeut*innen die individuelle Bedeutung jedes Eingriffs verstehen müssen. Für manche kann eine Operation tatsächlich das Körperbild stabilisieren (etwa nach Entstellungen), für andere ist sie Teil einer endlosen Flucht vor inneren Problemen. Wenn z.B. eine Frau nach Trennungserfahrungen immer wieder zum Schönheitschirurgen rennt, um “verbessert” zurückzukommen, könnte darin unbewusst der Wunsch liegen, doch noch geliebt zu werden – so als wäre der Körper das Einzige, was sie anbieten kann, und er müsse perfekt sein. Hier ist der Körper zum Schauplatz des Beziehungstraumas geworden.

Der Psychoanalytiker Mathias Hirsch (2002) schreibt allgemein: „Der Körper hat Symbolbedeutung… Über ihn können unbewältigte psychische Konflikte … mehr oder weniger symbolisch ausgedrückt werden“. Diese Aussage bringt es auf den Punkt: Selbstschädigende oder extrem kontrollierende Handlungen mit dem Körper sind selten trivial – sie bedeuten etwas. Sie sind wie Chiffren, die es zu entschlüsseln gilt. Zum Beispiel kann eine Frau, die sich wiederholt Schönheitsoperationen unterzieht, unbewusst versuchen, eine alte Wunde zu heilen – vielleicht das Gefühl, von der Mutter nie als schön oder liebenswert anerkannt worden zu sein. Indem sie ihren Körper immer weiter perfektionieren lässt, jagt sie der Illusion hinterher, doch noch jene bedingungslose Bestätigung zu erhalten (wenn schon nicht von der Mutter, dann von einem idealisierten Spiegelbild oder vom anonymen sozialen Feedback). Selbstverletzung wie Ritzen kann – wie erwähnt – Botschaften enthalten, die dem bewussten Selbst gar nicht klar sind, etwa: “Dieser Körper gehört mir, ich kann damit machen, was ich will” – was manchmal nach erlebtem sexuellem Missbrauch auftritt, um ein Gefühl von Kontrolle über den Körper zurückzugewinnen. Essstörungen sprechen ihre eigene Sprache: Magersucht könnte bedeuten “Ich brauche nichts von euch, ich siege über die Bedürfnisse”, Bulimie “Ich will alles und kann doch nichts behalten”.

Diese körperlichen „Sprachen“ sind natürlich tragisch, bringen sie doch oft Leid und neue Probleme mit sich. Doch sie zeigen auch die Dringlichkeit der zugrunde liegenden Konflikte: Wenn der Körper als letztes Ausdrucksmittel herhalten muss, sind die seelischen Nöte meist groß. Wichtig ist anzuerkennen, dass hinter all diesen Handlungen kein oberflächliches “sich schön machen” oder “Aufmerksamkeit heischen” steckt, sondern ernsthafte innere Kämpfe um Identität, Autonomie, Liebe und Ausdruck.

Nach der Betrachtung der individuellen psychischen Dynamiken rücken wir nun die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Fokus: Welche Schönheitsideale werden kulturell vermittelt? Wie beeinflussen Medien und postkoloniale Machtverhältnisse das Körperbild von Frauen? Und wie interagiert das mit den bisher diskutierten inneren Dynamiken?

7. Gesellschaftliche Schönheitsideale, Medieneinfluss und postkoloniale Kritik

Kein individuelles Körpererleben ist völlig losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext. Die Schönheitsnormen einer Epoche und Kultur prägen maßgeblich, was Frauen an ihrem Körper wertschätzen oder ablehnen. In der heutigen westlichen Medienkultur dominiert ein spezifisches Ideal: jung, schlank, straff, hellhäutig, symmetrisch – ein Bild, das unzählige Frauen internalisiert haben. Die Psychoanalytikerin und feministische Autorin Susie Orbach (2009) spricht in diesem Zusammenhang von den „Händlern des Körperhasses“: Eine mächtige Schlankheits- und Schönheitsindustrie schürt gezielt Unzufriedenheit, um Produkte zu verkaufen. Orbach betont, dass der Kapitalismus floriert, wenn Menschen unsicher und unglücklich mit sich selbst sind – denn dann konsumieren sie mehr, in der Hoffnung, durch den Kauf (von Kosmetik, Mode, Diätprodukten, Operationen) besser zu werden. Körperliche Selbstzufriedenheit sei in der modernen Kultur geradezu unerwünscht, weil ein zufriedener Mensch ein schlechter Konsument ist. Sie schreibt: “Warum ist körperliche Zufriedenheit so schwer zu finden? … Weil Kapitalismus besser funktioniert, wenn wir unsere Körper hassen.” Diese harsche Diagnose verweist darauf, wie das Private allgemein und Körperbild in unserem speziellen Kontext politisch und ökonomisch durchdrungen ist.

Orbach war eine der ersten (1978 mit “Fat is a Feminist Issue”), die darauf hinwies, dass Übergewicht oder Essstörungen bei Frauen oft als unbewusste Abwehr gegen sexistische Rollenerwartungen dienen. Sie fand heraus, dass einige Frauen aus Angst vor sexualisierter Aufmerksamkeit absichtlich zunehmen. In Gruppentherapien gaben Frauen preis, dass das Fett „sie aus der Kategorie Frau nimmt und in den androgynen Zustand des ‚großen Mädchens‘ versetzt“   – man entzieht sich so dem Erwachsenwerden als begehrtes Objekt. “Above all, the fat woman wants to hide”, schrieb Orbach (1978). Das deutet auf eine Schutzfunktion des Körpers hin: Die Pfunde bilden ein Polster gegen Blick und Begehren. Hier verbinden sich individuelle Psychodynamik (z.B. Trauma, Angst vor Männern) und kulturelle Botschaften (schlank = sexy = verletzlich). Orbach zeigt auch, wie familiäre und mediale Botschaften zusammenwirken: Mütter, die ständig Diät halten und ihren Körper kritisieren, vermitteln Töchtern die Message, dass eine Frau nie dünn oder schön genug sein kann. Medien verstärken dies: Allgegenwärtige Bilder retuschierter Perfektion erwecken den Eindruck, es sei normal, so makellos zu sein – was reale Körper zwangsweise defizitär erscheinen lässt. Körperunzufriedenheit ist heute fast schon ein Merkmal der weiblichen Sozialisation: Studien sprechen von “normativem Unbehagen” („normative discontent“) – das heißt, es gilt als normal, dass Frauen mit einigen Aspekten ihres Körpers unzufrieden sind, egal wie sie aussehen.

Diese Unzufriedenheit macht anfällig für die eingangs erwähnten „Händler des Körperhasses“. Ein Beispiel: Die Schönheitsindustrie propagiert idealisierte Bilder (z.B. makellose Haut, kein Gramm Fett) und bietet zugleich die Lösung an (Produkte, Behandlungen). So wird ein künstlicher Bedarf geschaffen, der niemals ganz gestillt werden kann – denn das Ideal verschiebt sich immer weiter ins Unerreichbare. In Orbachs Buch “Bodies” (2009) beschreibt sie, wie in der Spätmoderne der Körper selbst zum Projekt geworden ist: Wir „machen“ unseren Körper, formen ihn, statt dass er einfach ein gegebenes Vehikel ist. Da die meisten Menschen heute keine körperliche Arbeit mehr leisten (Schreibtischjobs, digitale Welt), betätigen sie sich am eigenen Körper – etwa durch Fitnessprogramme oder Schönheitsroutinen. Paradoxerweise, je weniger unser Leben körperlich fordert, desto mehr wird ein ästhetisch perfekter Körperfetisch angebetet. Orbach spricht in diesem Zusammenhang sogar von “beauty terror”: Viele Frauen leben in regelrechter Angst davor, den Schönheitsnormen nicht zu genügen, was ihren Alltag dominiert. Psychisch kann dies in dauerhaften niedrigem Selbstwert und latenter Angst resultieren – klassische Merkmale, die in Therapie auftauchen.

Besonders brisant ist die Perspektive der postkolonialen Kritik, vertreten durch Schwarze Feministinnen wie bell hooks und Audre Lorde. Sie machen darauf aufmerksam, dass die gängigen Schönheitsideale nicht nur sexistisch, sondern auch rassistisch geprägt sind. In westlichen Gesellschaften galt lange der weiße europäische Typus als Schönheitsmaßstab – helle Haut, glattes Haar, schmale Nase, gewisse Körperproportionen. Frauen, deren ethnische Zugehörigkeit von diesem Ideal abweicht, erfahren oft einen tiefen Konflikt: Sie messen sich an einem Ideal, das ihre eigenen natürlichen Merkmale abwertet. bell hooks kritisiert, dass viele Frauen – auch Feministinnen – unbewusst weiterhin an eurozentrischen Schönheitsnormen festhalten. Sie ruft dazu auf, “Wege zu finden, Schönheit zu definieren und uns zu schmücken, die gesund, lebensbejahend und nicht übermäßig zeitraubend sind” (hooks, zitiert nach Goodreads). Ihr Bezug auf die „white-supremacist capitalist patriarchy“ verdeutlicht, dass Schönheitsideale zugleich von Rassismus, Sexismus und Konsumdenken geprägt sind. In der Praxis bedeutet das: Schwarze Frauen beispielsweise mussten sich über Jahrzehnte mit Hautaufhellungscremes, Haarglättungen und anderen Maßnahmen auseinandersetzen, um dem weißen Ideal näherzukommen – was sowohl körperlich schädlich als auch seelisch entfremdend sein kann. In ihrem Buch “Black Looks” (1992) zeigt hooks auf, wie die Medien stereotype Bilder von schwarzer Weiblichkeit verbreiten (etwa hypersexualisierte Darstellungen) und gleichzeitig echte Schönheitsvielfalt unterdrücken. Sie fordert, dass feministische Bewegung Schönheitspraktiken nicht ignorieren darf, sondern positiv umdefiniert: Weg vom Zwang, hin zum Ausdruck.

Audre Lorde, als Schwarz-lesbische Dichterin, betont die Wichtigkeit von Selbstakzeptanz als Akt des Widerstands. In “Sister Outsider” (1984) analysiert sie, wie Schwarze Frauen aufgrund internalisierter rassistischer Schönheitsnormen nicht nur von Weißen, sondern auch untereinander mit Selbsthass und Misstrauen kämpfen. “We see ourselves with the eyes of others and despise it” – wir sehen uns mit den Augen der Anderen und verachten, was wir sehen. Dieser Satz (zwar über trans Frauen geschrieben, trifft aber den Kern allgemeiner) trifft auch auf viele Frauen zu: Sie betrachten ihre Körper durch den kritischen Blick der Gesellschaft und lehnen sich dafür ab. Lorde beschreibt in “Eye to Eye: Black Women, Hatred, and Anger”, dass schwarze Frauen oft gelernt haben, ihre Wut über rassistische Abwertung nach innen zu richten – in Selbsthass und Feindseligkeit gegen das eigene Spiegelbild oder andere schwarze Frauen. Den Ausweg sieht sie in radikaler Selbstliebe und Solidarität: “Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation – and that is an act of political warfare.” („Für mich selbst zu sorgen ist kein Luxus, es ist Selbsterhaltung – und das ist ein Akt politischen Widerstands“, Lorde 1988). Dieser berühmte Ausspruch zeigt, dass Selbstfürsorge – dazu gehört auch, den eigenen Körper anzunehmen – in einem feindlichen Umfeld ein rebellischer Akt sein kann. Wenn eine schwarze Frau lernt, ihr natürliches Haar, ihre Haut, ihre Figur zu lieben, trotzt sie damit dem subtilen gesellschaftlichen Druck, anders (weißer, glatter, dünner) sein zu sollen.

Die postkoloniale Perspektive lenkt unseren Blick auch global: Westliche Schönheitsideale wurden durch Kolonialismus und heutige Globalisierung weltweit verbreitet. Regionen, in denen einst füllige Körper oder bestimmte Hauttöne als schön galten, übernehmen nun oft die westlichen Maßstäbe. Beispielsweise dokumentierte man in Fiji einen sprunghaften Anstieg von Essstörungen, nachdem dort in den 1990ern das westliche Fernsehen Einzug hielt (Becker, 2004). Dies stützt Orbachs Aussage, dass die Probleme sich „aufgepilzt“ haben mit der Ausbreitung westlicher Konsumkultur . Für Frauen in nicht-westlichen Kulturen kommt oft ein kultureller Identitätskonflikt hinzu: Das Streben nach dem westlichen Ideal kann als Verrat an der eigenen Tradition empfunden werden, während dessen Nichterreichen Scham verursacht. Hier verbinden sich persönliche und postkoloniale Traumata.

Wichtig ist zu sehen, dass kulturelle Schönheitsideale bestimmte psychische Tendenzen entweder mildern oder verschärfen können. In einer Gesellschaft, die Vielfalt feiert und verschiedene Körpertypen als schön anerkennt, hätten es vermutlich weniger Frauen nötig, ihren Körper zu hassen – manche inneren Konflikte würden entschärft, weil von außen weniger Druck kommt. In der aktuellen Realität jedoch wirken Medien und Gesellschaft oft als Verstärker von Selbstzweifeln. Die unbewussten Dynamiken (z.B. “ich genüge nicht”) finden im Außen tausendfache Bestätigung. Wenn eine Frau denkt, sie sei nicht schlank genug, blickt sie in die Zeitschrift und überall sieht sie dieses Urteil bestätigt. Dieser ständige Spiegel durch Medien ist wie ein hyperkritisches Über-Ich in kultureller Gestalt: Er treibt viele in einen ständigen Optimierungszwang.

bell hooks und Audre Lorde mahnen jedoch auch, nicht in einfache Schuldzuweisungen zu verfallen, sondern aktiv Gegenbilder zu schaffen. So plädiert hooks dafür, dass Frauen Schönheitspraktiken nutzen, um sich selbst auszudrücken und zu erfreuen, nicht um einem fremden Ideal zu entsprechen. “Die feministische Forderung war, dass Frauen Weisen finden, Schönheit zu sehen und sich zu schmücken, die gesund, lebensbejahend und nicht übermäßig zeitaufwendig sind” (hooks, sinngemäß) . Das könnte heißen: anstelle strenger Diäten etwa Tanz und Bewegung zur Feier des Körpers, anstelle Schminkzwang ein spielerischer Umgang mit Make-up. Audre Lorde würde ergänzen: Und diese neuen Definitionen müssen inklusiv sein – Schönheitsideal darf nicht mehr heißen, eine einzige Norm zu exekutieren, sondern die Schönheit der Vielfalt anzuerkennen.

Insgesamt zeigt dieser Abschnitt, dass gesellschaftliche Schönheitsideale tief in die Psyche eingreifen. Sie können das innere Drama von Selbstwert und Begehren entlasten (wenn Ideale vielfältig und erreichbar sind) oder verschärfen (wenn sie eng und unbarmherzig sind). Gerade im Zusammenspiel mit internalisierten Unterdrückungen (Sexismus, Rassismus) entsteht aus äußeren Bildern ein mächtiger innerer Kritiker. Die postkoloniale und feministische Kritik macht aber auch Hoffnung: Indem sie diese Mechanismen entlarvt, eröffnet sie Räume, in denen Frauen neue Narrative über ihre Körper schreiben können – Narrative von Selbstakzeptanz, Gemeinschaft und Widerstand gegen entmündigende Ideale.

Im folgenden, abschließenden Teil soll nun erörtert werden, was all diese Erkenntnisse für die therapeutische Praxis bedeuten und wie man die verschiedenen Ebenen – vom individuellen Unbewussten bis zum gesellschaftlichen Diskurs – metapsychologischintegrieren kann, um Frauen auf dem Weg zu einem versöhnten Verhältnis mit sich selbst zu unterstützen.

8. Abschließende Gedanken

Ziel dieses von einem Mann verfassten Essays war der Versuch, die Perspektive einzunehmen und zu fragen, was Frauen erleben, statt sie so zu untersuchen, wie sie Männern erscheinen. Dabei enthüllte sich eine gewisse Logik hinter scheinbar irrationalem Körperhass. Der vermeintlich oberflächliche Wunsch, schöner zu sein, entpuppte sich etwa als Sehnsucht nach Liebe, nach Ordnung im Chaos, nach Selbstbestimmung.  Zugleich sollte die Macht von Kultur, von allgegenwärtigen Medienbildern und Normen nicht unterschätzen, die wie ein kollektives Über-Ich wirken, das insbesondere Frauen einer strengen Bewertung unterzieht. Schwarze Feministinnen wie hooks und Lorde haben uns gezeigt, dass es ohne eine kritische Gesellschaftsanalyse keine vollständige Heilung des individuellen Leids geben kann. Eine Frau, die ihren Körper zu akzeptieren beginnt, braucht auch ein Umfeld, das diese Akzeptanz nährt, statt fortwährend an ihr zu nagen. Insofern verbindet sich im besten Falle das individuelle Wachstum mit sozialem Wandel: Je mehr Frauen sich aus destruktiven Schönheitszwängen befreien, desto mehr gerät das Idealsystem ins Wanken. Dieses Essay hat versucht, die thematischen Verknüpfungen herauszuarbeiten: Wir sahen, wie frühe Beziehungserfahrungen quasi den Boden bereiten, auf dem Scham und Unsicherheit wachsen oder nicht wachsen. Wie Scham und unerfüllte Wünsche in pathologische Körperfixierungen münden können. Wie Identifikation unter Frauen sowohl stützen als auch unterdrücken kann. Und wie am Ende der Körper als Austragungsort dient, wenn andere Wege verschlossen sind. Jedes Theoriefragment – ob von Freud, Klein, Winnicott, Kristeva, Orbach oder anderen – beleuchtet einen Ausschnitt dieses großen Mosaiks. 

Ein umfassendes Verständnis des Konzepts Schönheit sollte also sowohl die innere Welt (Wünsche, Konflikte, Abwehr) als auch die äußere Welt (Beziehungen, Kultur) berücksichtigen. Die Frage „Wie lässt sich das Streben nach Schönheit psychoanalytisch verstehen?“ lässt sich beantworten mit: als vieldeutiges Symbol. Es kann etwa ein Symbol für Sehnsucht nach Anerkennung sein, für den Wunsch, die Kontrolle zu behalten, für den Versuch, eine Identität zu finden, für das stumme Ausdrücken von Schmerz – je nach individueller Geschichte.  Der psychoanalytische Ansatz liefert uns kein Patentrezept zum heilsameren Umgang im Schönheitsdiskurs, aber (hoffentlich) ein tiefes Verständnis dafür, warum der Kampf um Schönheit so leidvoll sein kann. Indem wir unbewusste Wurzeln offenlegen, entziehen wir idealerweise Selbsthass den Nährboden. Was bleibt, ist die Chance auf Selbst-Mitgefühl und die Freiheit, den eigenen Körper nicht länger als Feind, sondern als Verbündeten auf dem Weg zu einem erfüllteren Leben zu betrachten. Letztlich läuft vieles auf einen Kern hinaus: die Beziehung der Frau zu sich selbst, zu ihrem eigenen Körper und Selbstbild, wieder oder erstmals zu einer liebevollen, lebendigen Verbindung zu machen. Aus dem Schauplatz der Konflikte soll der Körper zum bewohnten Zuhause werden, in dem man als Frau auch gerne wohnt. Jede Frau sollte entdecken dürfen, was für sieSchönheit bedeutet und ihren Körper als einzigartigen Ausdruck ihres Selbst würdigen.

9. Literaturverzeichnis

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