Seit Anfang 2025 gibt es eine weitreichende Neuerung im Gesundheitswesen, die Sie direkt betrifft: die elektronische Patientenakte (ePA). Der entscheidende Punkt ist das sogenannte „Opt-out“-Verfahren: Für die meisten gesetzlich Versicherten wurde automatisch eine Akte angelegt, ohne dass eine aktive Zustimmung nötig war (Bundesministerium für Gesundheit [BMG], 2025c).
Das bedeutet: Sehr wahrscheinlich existiert auch für Sie bereits eine ePA, selbst wenn Sie diese nie beantragt oder genutzt haben. Weil dieses Thema – insbesondere im sensiblen Bereich der Psychotherapie – absolute Klarheit erfordert, gibt Ihnen dieser Text einen neutralen Überblick und konkrete Handlungsanweisungen.
Denn auch wenn die ePA automatisch eingeführt wurde: Sie behalten die volle Kontrolle.
1. Das Wichtigste in Kürze (Für Eilige)
1.1. Was ist die ePA in 3 Sätzen?
Die ePA ist Ihre persönliche digitale Gesundheitsakte, in der medizinische Dokumente wie Befunde oder Arztbriefe zentral gespeichert werden (BMG, 2025c). Sie soll die medizinische Versorgung verbessern, indem wichtige Informationen bei Bedarf schnell verfügbar sind. Die wichtigste Regel dabei: Sie als Patient:in entscheiden, was hineinkommt und wer es sehen darf (§ 341 SGB V).
1.2. Habe ich bereits eine ePA?
Ja, höchstwahrscheinlich. Seit dem Stichtag am 15. Januar 2025 haben die Krankenkassen automatisch für alle Versicherten eine ePA eingerichtet, die nach dem Informationsschreiben nicht aktiv widersprochen haben (gematik GmbH, 2025a). Selbst wenn Sie diese Akte noch nie genutzt haben, existiert sie.
1.3. Was sind meine grundlegenden Wahlmöglichkeiten?
Sie haben jederzeit die volle Kontrolle. Ihre drei zentralen Optionen sind:
- Die ePA vollständig nutzen: Sie müssen nichts weiter tun und können die angebotenen Vorteile nutzen.
- Die ePA nur teilweise nutzen: Sie behalten die ePA, schränken aber gezielt ein, welche Daten (z. B. aus der Psychotherapie) gespeichert oder von wem sie eingesehen werden.
- Die ePA komplett ablehnen: Sie können Ihre bereits angelegte ePA jederzeit und ohne Angabe von Gründen bei Ihrer Krankenkasse wieder löschen lassen (gematik GmbH, 2025a).
1.4. Sie wissen schon, was Sie wollen?
Wenn Sie bereits eine Entscheidung getroffen haben und nur noch wissen möchten, wie Sie diese umsetzen, finden Sie im folgenden Teil die direkten Anleitungen.
2. Ihre Entscheidung, Ihr Weg – Konkrete Anleitungen für Ihre ePA
In diesem Abschnitt finden Sie detaillierte Anleitungen, um die elektronische Patientenakte (ePA) genau nach Ihren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten. Sie haben verschiedene Möglichkeiten, die volle Kontrolle über Ihre Daten zu behalten. Suchen Sie sich einfach die Option aus, die sich für Sie richtig anfühlt.
2.1. Option 1: Der vollständige Widerspruch – Wenn Sie gar keine ePA möchten
Dies ist der konsequenteste Weg, wenn Sie der zentralen Speicherung Ihrer Gesundheitsdaten grundsätzlich nicht zustimmen und die ePA für sich ausschließen möchten.
- Für wen ist dieser Weg gedacht?
Für alle, die sich mit einer digitalen Gesundheitsakte grundsätzlich unwohl fühlen und ihre Daten lieber dezentral bei den jeweiligen Behandlern belassen möchten. - So gehen Sie vor: Der Widerspruch bei Ihrer Krankenkasse
Sie müssen Ihrer Krankenkasse lediglich mitteilen, dass Sie keine ePA wünschen. Dies ist Ihr gesetzlich verankertes Recht (§ 342 SGB V) und Sie müssen dafür keinerlei Gründe angeben. Fast alle Krankenkassen bieten hierfür einfache Wege an:- Digital per App oder Webseite: In den ePA-Apps der Krankenkassen gibt es oft einen Menüpunkt wie „ePA löschen“ oder „Widerspruch“. Auch auf den Webseiten der Kassen finden sich häufig entsprechende Online-Formulare (AOK-Bundesverband, 2025b).
- Telefonisch oder schriftlich: Ein Anruf bei der Service-Hotline Ihrer Krankenkasse oder ein formloser Brief mit Ihrem Namen, Ihrer Versichertennummer und dem Satz „Hiermit widerspreche ich der Einrichtung und Nutzung einer elektronischen Patientenakte für meine Person“ genügt.
- Das Ergebnis: Keine Akte, keine zentralen Daten
Nach Ihrem Widerspruch wird Ihre eventuell bereits angelegte ePA vollständig und unwiderruflich gelöscht (gematik GmbH, 2025a). Es werden keine neuen Daten mehr für Sie in einem zentralen System gespeichert. Sollten Sie Ihre Meinung später ändern, können Sie den Widerspruch jederzeit zurücknehmen. Ihre Krankenkasse würde dann eine neue, leere ePA für Sie anlegen.
2.2. Option 2: Der geschützte Raum – Die ePA nutzen, aber die Psychotherapie abschirmen
Dies ist der wohl wichtigste Weg für Patientinnen und Patienten in einer Psychotherapie. Sie können die praktischen Vorteile der ePA für körperliche Erkrankungen nutzen, während die hochsensiblen Informationen aus Ihrer Therapie absolut vertraulich bleiben. Für einen maximalen Schutz empfehle ich Ihnen eine Kombination aus den folgenden drei Schritten – ein „Dreifach-Schloss-Prinzip“.
- Für wen ist dieser Weg gedacht?
Für alle, die zum Beispiel möchten, dass ihr Kardiologe den letzten Krankenhausbericht einsehen kann, aber gleichzeitig sicherstellen wollen, dass die Inhalte der Psychotherapie geschützt bleiben. - So gehen Sie vor: Das Dreifach-Schloss-Prinzip
- Schloss: Das Gespräch mit Ihrem Psychotherapeut:in – Der wichtigste Schritt
Der wirksamste Schutz beginnt im direkten Kontakt. Teilen Sie Ihrem Therapeuten oder Ihrer Therapeutin klar mit, dass keine Berichte, Diagnosen oder Verlaufsdokumentationen aus der Behandlung in Ihre ePA geladen werden sollen. Ihr:e Behandler:in ist gesetzlich dazu verpflichtet (§ 347 Abs. 3 SGB V), Sie auf dieses Recht hinzuweisen und Ihren Wunsch zu respektieren und zu dokumentieren. Damit stellen Sie sicher, dass sensible Daten die Praxis gar nicht erst in Richtung Ihrer ePA verlassen. - Schloss: Der technische Riegel – Den Praxis-Zugriff systemweit sperren
Als zusätzliche, technische Absicherung können Sie den Zugriff für die psychotherapeutische Praxis komplett blockieren. Selbst wenn Sie Ihre Gesundheitskarte dort einlesen, bleibt die Tür zu Ihrer ePA für diese Praxis verschlossen.- So geht’s: Diese Einstellung können Sie entweder selbst in Ihrer ePA-App vornehmen (meist unter einem Menüpunkt wie „Berechtigungen“ oder „Zugriffsverwaltung“) oder Sie beauftragen die Ombudsstelle Ihrer Krankenkasse damit (Kassenärztliche Bundesvereinigung [KBV], 2025).
- Schloss: Die unsichtbare Spur – Abrechnungsdaten der Kasse ausblenden
Auch über die reinen Abrechnungsdaten, die Ihre Krankenkasse automatisch in die ePA spielt, könnten Rückschlüsse auf eine psychotherapeutische Behandlung möglich sein (z.B. über Diagnose-Codes).- So geht’s: Sie können der Übermittlung dieser Abrechnungsdaten bei Ihrer Krankenkasse widersprechen. Auch dies geschieht über einen Schalter in der App oder einen Auftrag an die Ombudsstelle (gematik GmbH, 2025a).
- Schloss: Das Gespräch mit Ihrem Psychotherapeut:in – Der wichtigste Schritt
- Das Ergebnis: Ein wirksamer Schutzraum für Ihre Therapiedaten
Mit dieser Dreifach-Sicherung können Sie die ePA für andere Arztbesuche nutzen und haben gleichzeitig die Gewissheit, dass die sensiblen Inhalte Ihrer Psychotherapie vertraulich bleiben.
2.3. Option 3: Die Feinsteuerung – Gezielt anpassen, was Sie stört
Vielleicht haben Sie kein Problem mit der ePA an sich, möchten aber bestimmte Details anders handhaben. Die ePA bietet Ihnen dafür verschiedene Stellschrauben.
- Beispiel 1: „Ich möchte nicht, dass andere Ärzte meine Medikamente sehen.“
- Ihre Möglichkeit: In Ihrer ePA-App können Sie die automatische Medikationsliste, die sich aus E-Rezepten speist, entweder komplett deaktivieren oder auf „nur für mich sichtbar“ stellen. So bleibt diese Information privat (KBV, 2025).
- Beispiel 2: „Meine Daten sollen auf keinen Fall für die Forschung genutzt werden.“
- Ihre Möglichkeit: Sie können der geplanten Forschungsdatennutzung (ab ca. 2026) jederzeit widersprechen (§ 363 SGB V). Diese Einstellung hat keinerlei Einfluss auf Ihre Behandlung oder die sonstige Nutzung der ePA.
- Beispiel 3: „Dieser eine Arztbrief ist mir zu heikel, den soll niemand außer mir sehen.“
- Ihre Möglichkeit: In der ePA-App können Sie jedes einzelne Dokument „verbergen“. Es bleibt dann für Sie persönlich in der Akte sichtbar, aber für alle Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken ist es so, als würde es nicht existieren (KBV, 2025).
2.4. Für alle ohne Smartphone: Die Ombudsstelle ist Ihr persönlicher Service
Sie benötigen keine App oder technische Kenntnisse, um Ihre Rechte wahrzunehmen. Jede Krankenkasse ist gesetzlich verpflichtet, eine Ombudsstelle einzurichten, die Ihnen als neutrale Anlauf- und Beratungsstelle dient (§ 342a SGB V).
- Was macht die Ombudsstelle für Sie?
Sie können dort anrufen oder schriftlich darum bitten, dass die Mitarbeiter alle hier genannten Einstellungen für Sie vornehmen: Ihre ePA vollständig löschen, den Zugriff für eine bestimmte Praxis blockieren, die Übermittlung von Abrechnungs- oder Medikationsdaten stoppen oder der Forschungsnutzung widersprechen. Die Ombudsstelle ist Ihr verlängerter Arm, um Ihre Wünsche im ePA-System umzusetzen. Die Kontaktdaten finden Sie auf der Webseite Ihrer Krankenkasse.
3. Die ePA im Detail – Hintergründe, Chancen und Risiken
Wenn Sie diesen Abschnitt lesen, suchen Sie nach mehr als nur schnellen Antworten. Sie möchten die Hintergründe verstehen, die Argumente abwägen und die Tragweite der elektronischen Patientenakte (ePA) für sich persönlich einschätzen. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt, denn nur ein tiefes Verständnis ermöglicht eine wirklich selbstbestimmte Entscheidung. Nehmen wir uns also die Zeit, die ePA von Grund auf zu beleuchten.
3.1. Gesetzlicher Rahmen: Die unsichtbare Weichenstellung und ihre Gründe
Die elektronische Patientenakte ist nicht plötzlich entstanden. Sie ist das Ergebnis eines jahrelangen politischen Prozesses mit dem Ziel, das deutsche Gesundheitswesen grundlegend zu modernisieren. Die treibende Vision dahinter ist ein digital vernetztes System, in dem medizinische Informationen sicher, schnell und vollständig dort verfügbar sind, wo sie für Ihre Behandlung gebraucht werden. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind tief im Sozialgesetzbuch (insbesondere in den §§ 341 ff. SGB V) und in speziellen Digitalisierungsgesetzen wie dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) verankert.
In einer ersten Phase von 2021 bis 2024 basierte die ePA auf reiner Freiwilligkeit, dem sogenannten „Opt-in“-Prinzip. Da die Resonanz jedoch äußerst gering war, traf der Gesetzgeber eine weitreichende Entscheidung: Er kehrte das Prinzip um. Seit dem 15. Januar 2025 gilt nun das „Opt-out“-Verfahren, bei dem für jede gesetzlich versicherte Person automatisch eine ePA angelegt wird, es sei denn, sie oder er hat aktiv widersprochen (BMG, 2025c). Juristisch wird dieses Schweigen als informierte Einwilligung gewertet. Genau hier liegt die Krux, die von Datenschützern und Patientenvertretern stark kritisiert wird: Viele Menschen haben die Informationsschreiben möglicherweise nicht in ihrer vollen Tragweite verstanden. Das Ergebnis ist, dass heute Millionen von Menschen eine ePA besitzen, ohne es bewusst zu wissen.
Seit dem 1. Oktober 2025 sind zudem alle Leistungserbringer gesetzlich verpflichtet, die ePA zu nutzen und relevante Behandlungsdaten zu speichern (AOK-Bundesverband, 2025a). Diese Verpflichtung entfällt jedoch, sobald Sie als Patient:in widersprechen. Insbesondere bei hochsensiblen Daten sind Behandler explizit angehalten, Sie auf dieses Recht hinzuweisen (§ 347 SGB V).
3.2. Anatomie einer ePA: Was genau kommt in die Akte und woher?
Um die ePA wirklich steuern zu können, muss man verstehen, dass sie ein dynamisches System ist, das sich aus unterschiedlichen Quellen speist.
- Quelle 1: Ihre Behandlerinnen und Behandler
Dies ist die naheliegendste Quelle. Hierzu gehören Befundberichte, Arztbriefe (insbesondere Entlassungsbriefe aus dem Krankenhaus) sowie digitale Gesundheitsdokumente wie der Impfpass oder der Mutterpass. - Quelle 2: Ihre Krankenkasse – Der oft unsichtbare, automatische Datenfluss
Sofern Sie nicht aktiv widersprechen, übermittelt Ihre Krankenkasse Abrechnungsdaten (Diagnose-Codes nach ICD-10) und E-Rezept-Daten (für die Medikationsliste) automatisch in Ihre ePA (gematik GmbH, 2025a). - Quelle 3: Sie selbst – Die ePA als Ihr persönliches Werkzeug
Die ePA ist gesetzlich als eine „versichertengeführte“ Akte definiert. Sie können jederzeit eigene Dokumente hochladen, zum Beispiel alte, eingescannte Arztbriefe, ein Schmerztagebuch oder Hinweise auf eine Patientenverfügung.
3.3. Was die ePA verspricht: Chancen und Nutzen
Trotz aller berechtigten Bedenken gibt es nachvollziehbare Argumente für die ePA. Die Politik verspricht eine erhöhte Patientensicherheit im Notfall, da lebenswichtige Informationen wie Allergien oder Vormedikation schnell verfügbar sind. Zudem soll die Effizienz der Behandlung durch die Vermeidung von Doppeluntersuchungen gesteigert werden. Für Sie als Patient:in bietet die ePA die Chance auf mehr Transparenz und Souveränität, da Sie jederzeit einen vollständigen Überblick über Ihre eigene Gesundheitshistorie erhalten und sich aktiv in den Behandlungsprozess einbringen können (BMG, 2025c).
3.4. Risiken und Kritik: Eine ehrliche und tiefgehende Auseinandersetzung mit den Gefahren
Die Risiken der ePA wiegen schwer und betreffen die technische Sicherheit, die besondere Natur psychischer Daten und die zukünftige Nutzung Ihrer Informationen.
- Die technische Grundlage: Eine digitale Festung mit bekannten Schwachstellen
Die Daten Ihrer ePA werden in der Telematikinfrastruktur (TI), einem speziell gesicherten Netzwerk, gespeichert. Die Betreiber versichern höchste Sicherheitsstandards. Dennoch hat der Chaos Computer Club (CCC) Ende 2024 in einer detaillierten Analyse gravierende konzeptionelle Sicherheitslücken aufgedeckt. Die Experten demonstrierten, wie es theoretisch möglich gewesen wäre, sich massenhaft Zugriff auf die Akten von Millionen Versicherten zu verschaffen (Kastl & Tschirsich, 2024). Auch wenn die gematik umgehend Nachbesserungen ankündigte (gematik GmbH, 2024), zeigt dieser Vorfall, dass eine absolute Sicherheit eine Illusion ist. Einmal gestohlene Gesundheitsdaten sind nicht „zurücksetzbar“; der Schaden ist permanent. - Der konzeptionelle Kern des Problems: Das „Alles-oder-nichts-Prinzip“ und die Last der Verantwortung
Das aktuelle Berechtigungskonzept der ePA wird der Sensibilität psychotherapeutischer Daten nur unzureichend gerecht. Standardmäßig erhält jede Praxis, der Sie Zugriff gewähren, für 90 Tage Einblick in alle Dokumente, die Sie nicht aktiv verborgen haben. Ein Orthopäde könnte also theoretisch den Entlassungsbericht aus Ihrer psychosomatischen Klinik lesen. Dieses System legt die gesamte Verantwortung für den Schutz Ihrer Privatsphäre auf Ihre Schultern. Aus diesem Grund kritisieren Berufsverbände wie die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) dieses pauschale Berechtigungskonzept scharf, da es dem Grundprinzip der Datensparsamkeit widerspricht (BDP, 2024). Bereits 2020 warnte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz (BfDI) vor genau diesem Szenario (BfDI, 2020). - Die gesellschaftliche Dimension: Der Weg zum „gläsernen Patienten“ durch die Forschungsdatennutzung
Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) schafft die Grundlage, um ePA-Daten ab ca. 2026 pseudonymisiert für die Forschung zu nutzen (BMG, 2025b). Auch hier gilt ein Opt-out. Kritiker warnen vor dem Risiko der Re-Identifizierung. Insbesondere bei einer Kombination aus seltenen Erkrankungen, spezifischen Behandlungsabläufen und demografischen Daten könnte es theoretisch möglich sein, auf einzelne Personen zurückzuschließen. Damit geben Sie die Kontrolle über Ihre intimste Lebensgeschichte aus der Hand und werden Teil eines gigantischen Datenpools. Es ist eine grundlegende Abwägung zwischen dem kollektiven Nutzen für die Forschung und Ihrem individuellen Recht auf informationelle Selbstbestimmung. - Persönliche Identität und Missbrauch: Ein pragmatisches Risiko ist auch der Verlust oder Missbrauch Ihrer Gesundheitskarte (eGK). Diese Karte ist der Schlüssel zu Ihrer ePA. Gelangt sie in falsche Hände und wird in einem Kartenleser benutzt, könnte jemand unberechtigt Einblick nehmen – gerade weil die PIN im Behandlungskontext entfällt. Zwar sollte das nur in autorisierten Praxen möglich sein, aber die CCC-Experten zeigten, dass man sich Praxisausweise erschleichen kann. Hier ist die Wahrscheinlichkeit für den einzelnen Menschen gering, aber es ist nicht null. Deshalb: Behandeln Sie Ihre eGK wie eine Kreditkarte – melden Sie Verlust sofort Ihrer Kasse, und überprüfen Sie ab und zu das ePA-Zugriffsprotokoll. Bislang sind keine konkreten Angriffe bekannt, aber es gibt ein latentes Risiko von Identitätsdiebstahl im Gesundheitswesen, das man im Hinterkopf behalten sollte (Netzpolitik, 2025).
- Stigmatisierung und soziale Risiken: Gesundheitsdaten – speziell psychotherapeutische – gehören zu den persönlichsten Informationen überhaupt. Wenn solche Daten ungewollt bekannt werden (sei es durch zu großzügigen ePA-Zugriff oder durch Sicherheitslücken), kann das für Betroffene peinlich oder nachteilig sein. Man denke an berufliche Zusammenhänge: Würde ein Betriebsarzt vertrauliche Psych-Daten sehen, könnte das Ihr Arbeitsverhältnis beeinflussen. Oder im privaten Umfeld: Nicht jeder möchte, dass etwa ein mitbehandelnder Arzt aus dem Sportverein erfährt, welche Diagnosen man hat. Die ePA bringt die Chance auf bessere Versorgung, aber auch die Gefahr, zum „gläsernen Patienten“ zu werden, wenn die Daten in falsche Hände geraten oder zu weit gestreut werden. Es liegt ein Stück weit in Ihrer Verantwortung, diesem vorzubeugen (durch bewusstes Verbergen sensibler Inhalte). Gleichzeitig ist es eine Aufgabe der Systembetreiber, hier fortlaufend für Vertrauen und Sicherheit zu sorgen. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte 2023, abgesenkte Sicherheitsstandards könnten Fehler in der Vertrauensbildung sein– Vertrauen ist aber der Schlüssel, damit Bürger die ePA akzeptieren (Netzpolitik, 2025).
3.5. Ihre Werkzeuge im Detail: Wie Sie die Kontrolle aktiv und wirksam ausüben
Das Wissen um die Risiken ist nicht dazu da, um zu lähmen, sondern um zu befähigen. Die ePA bietet Ihnen mächtige Werkzeuge, um Ihre Privatsphäre zu schützen.
- Das Zugriffsrecht: Die 90-Tage-Regel und wie Sie sie meistern
Standardmäßig erhält eine Praxis für 90 Tage Zugriff. Über Ihre ePA-App oder die Ombudsstelle können Sie diesen Zeitraum pro Praxis individuell verkürzen, verlängern oder den Zugriff jederzeit widerrufen (KBV, 2025). - „Verbergen“ vs. „Löschen“: Der strategische Unterschied für Ihre Daten
- Verbergen: Dies ist die flexibelste Methode. Ein verborgenes Dokument bleibt in Ihrer ePA gespeichert, ist aber ausschließlich für Sie selbst sichtbar. Für alle anderen ist es, als würde es nicht existieren.
- Löschen: Dies ist der endgültige Schritt. Ein gelöschtes Dokument wird unwiderruflich entfernt. Eine Praxis ist nicht verpflichtet, ein von Ihnen gelöschtes Dokument erneut hochzuladen.
- Das Zugriffsprotokoll: Ihr persönliches Kontroll- und Wachinstrument
Jeder einzelne Zugriff auf Ihre ePA wird lückenlos protokolliert. In Ihrer App können Sie jederzeit einsehen, welche Praxis wann auf welche Daten zugegriffen hat (gematik GmbH, 2025b). Dieses Protokoll ist Ihr wichtigstes Instrument zur Überwachung. Bei Unstimmigkeiten sollten Sie umgehend Ihre Krankenkasse kontaktieren.
3.6. Fazit und Ihr persönlicher Weg
Die ePA bewegt sich in einem permanenten Spannungsfeld zwischen dem Nutzen für die Versorgung und den Risiken für Ihre Privatsphäre. Das „Opt-out“-System hat die Verantwortung klar bei Ihnen abgeladen. Es verlangt von Ihnen, sich aktiv zu informieren und zu handeln.
Bitte verstehen Sie diesen Text als eine Einladung, Ihre Rechte selbstbewusst wahrzunehmen. Ob Sie die ePA komplett ablehnen, sie uneingeschränkt nutzen oder einen differenzierten Mittelweg gehen – es ist allein Ihre Wahl.
Sprechen Sie Ihre Therapeutin oder Ihren Therapeuten jederzeit im persönlichen Gespräch an, wenn Sie unsicher sind oder weitere Fragen haben. Gemeinsam lässt sich der für Sie passende und sichere Weg finden.
Hinweis: Dieser Text dient der allgemeinen Information (Stand: 06.10.2025) und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung. Bei konkreten rechtlichen Fragen wenden Sie sich bitte an Ihre Krankenkasse oder unabhängige Beratungsstellen.
Zum kulturtheoretischen Ausklang: „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, das nicht zugleich ein solches der Barbarei wäre.“ — Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, 1940
4. Quellen
AOK-Bundesverband. (2025a, 1. Oktober). Seit 1. Oktober 2025: ePA ist Pflicht für Ärztinnen und Ärzte. AOK Gesundheitspartner. https://www.aok.de/gp/praxis/digitalisierung-praxisalltag/epa-pflicht-aerztinnen-aerzte-oktober-2025
AOK-Bundesverband. (2025b). Elektronische Patientenakte ePA: Widerspruch. AOK Versicherten-Portal. https://www.aok.de/pk/versichertenservice/elektronische-patientenakte-widerspruch/
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). (2024, 20. November). Stellungnahme: Die ePA für alle schützt sensible Befunde nicht ausreichend! https://www.bdp-verband.de/aktuelles/detailansicht/stellungnahme-des-berufsverbandes-deutscher-psychologinnen-und-psychologen-e-v-bdp-zur-elektronischen-patientenakte-epa-fuer-alle
Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). (2020, 25. August). BfDI zum Patientendaten-Schutz-Gesetz: Die elektronische Patientenakte muss den Versicherten die volle Hoheit über ihre Daten geben [Pressemitteilung]. https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Pressemitteilungen/2020/19_PDSG.html
Bundesministerium für Gesundheit (BMG). (2025a). Die elektronische Patientenakte für alle – Vorteile und Fragen. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/elektronische-patientenakte/epa-fuer-alle-vorteile-und-fragen
Bundesministerium für Gesundheit (BMG). (2025b, 10. April). Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) – Die wichtigsten Inhalte. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/daten-fuer-die-forschung-und-versorgung/gesundheitsdatennutzungsgesetz
Bundesministerium für Gesundheit (BMG). (2025c). ePA für alle. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/elektronische-patientenakte/epa-fuer-alle
gematik GmbH. (2024, 27. Dezember). Stellungnahme zum CCC-Vortrag zur ePA für alle [Newsroom-Mitteilung]. https://www.gematik.de/newsroom/news/detail/stellungnahme-zum-ccc-vortrag-zur-epa-fuer-alle
gematik GmbH. (2025a). ePA für alle – Widerspruchsmöglichkeiten [Informationsseite]. https://www.gematik.de/anwendungen/epa/epa-fuer-alle/widerspruchsmoeglichkeiten
GKV-Spitzenverband. (2025, 3. Juni). Informationen zur elektronischen Patientenakte (ePA) nach § 343 SGB V. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/service_1/epa/InfoM_343_ePA_final_Stand_2025-06-03.pdf
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). (2025, September). Elektronische Patientenakte – Informationsseite. https://www.kbv.de/html/epa.html
Kastl, T., & Tschirsich, M. (2024, 27. Dezember). Chaos Communication Congress: ‚Das Narrativ der sicheren ePA ist nicht mehr zu halten‘. Netzpolitik.org. https://netzpolitik.org/2024/chaos-communication-congress-das-narrativ-der-sicheren-elektronischen-patientenakte-ist-nicht-mehr-zu-halten/
Orth, A. (2025, 5. Februar). EPA-Daten für die Forschung. Pharmazeutische Zeitung. https://www.pharmazeutische-zeitung.de/epa-daten-fuer-die-forschung-152991/
Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung. (o. D.). Bundesamt für Justiz. Abgerufen am 6. Oktober 2025, von https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/
Techniker Krankenkasse (TK). (2025, 20. Februar). Forschungsdatenspende in der ePA. https://www.tk.de/techniker/leistungen-und-mitgliedschaft/online-services-versicherte/elektronische-patientenakte-tk-safe/elektronische-patientenakte-forschungsdatenspende-2190328